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Dr. Iris Wangermann

Meine aktuelle „Sie-du-ation“: oder ist Siezen überhaupt noch zeitgemäß?

Haare raufend und über mich selbst lachend sitze ich letzte Woche in meiner Mastermind Gruppe. „Das bin ich nicht mehr. Dieses Siezen auf meinem Blog fühlt sich einfach nicht mehr zeitgemäß an.“ 

„Na dann ändere das doch einfach“, sagen die Schwestern. 

Genauso wie Judith Peters in ihrer Blog-Sprechstunde. 

Stimmt, warum ändere ich es nicht einfach? My Blog, my rules, richtig?
Wenn da nicht diese leise Stimme in meinem Kopf flüstern würde:

  • Das macht man nicht in Deutschland!
  • Das ist unhöflich!
  • Das ist respektlos!
  • Das ist unprofessionell!
  • Da entsteht eine falsch verstandene Nähe!

Ich habe mir die Argumente meines inneren Kritikers in diesem Blogartikel in Ruhe analysiert. Dabei bin ich zum Schluss gekommen: duzen kann durchaus professionell, höflich und respektvoll sein, ohne dass dabei eine falsche Nähe entsteht. Ab sofort werde ich daher in diesem Blog alle Leser*innen respektvoll duzen. 

Das findest Du in diesem Blogartikel

Ist "Duzen" unhöflich?

In meiner Kindheit sind wir in den Sommerferien oft zu den Großeltern nach Österreich gefahren. Hier fühlte sich alles irgendwie wärmer und freundlicher an. Die Art, wie man miteinander spricht und umgeht.

Später habe ich 5 Jahre in Graz gelebt. Wenn ich nach Monaten zurück nach Deutschland kam, fühlte sich der Umgang in Deutschland kaltschnäuzig und unhöflich an. Dieses unhöfliche Gefühl hatte nichts damit zu tun, ob mich jemand geduzt, oder gesiezt hat. 

Das fand ich so spannend, dass ich 2004 meine Doktorarbeit über das Thema Höflichkeit im interkulturellen Vergleich schrieb. Ich fragte mich: wie geht das eigentlich „guter Kontakt“ und „gute Beziehungen“ mit Menschen aus verschiedenen Kulturen.  

Höflichkeit gibt es in allen Kulturen, aber wie man Höflichkeit ausdrückt, unterscheidet sich. „Sie“ oder „Du“ wird in manchen Kulturen verwendet, um Höflichkeit auszudrücken. Andere Kulturen machen das anders. 

Fazit: Duzen an sich ist nicht unhöflich. 

Ist "Duzen" respektlos?

Alle Menschen, die im englischsprachigen Raum unterwegs sind, wissen: auch mit dem „Du“ ist ein respektvoller Umgang im Berufsleben möglich. 

Respekt kommt vom lateinischen respectio und bezeichnet eine Form der Wertschätzung, Achtung und Ehrerbietung gegenüber einer Person. Das „Sie“ ist nur eine von vielen Möglichkeiten, dies auszudrücken. 

Fazit: Das Du an sich ist nicht respektlos.

Warum "Siezen" wir eigentlich in Deutschland

Das Siezen hat in Deutschland lange Tradition. Wir trennen Privat- und Arbeitsleben meist viel stärker als Menschen aus anderen Kulturen. 

Das hat etwas mit unserer Geschichte zu tun: Nach dem 30-Jährigen Krieg wurde Deutschland in zahlreiche, kleine Staaten geteilt. In jedem Staat gab es einen „Landlord“, der alles überwachte. Die Menschen hatten kaum Privatsphäre. Die strikte Trennung zwischen Privat und Beruf wurde wichtig. 

Fazit: Wir siezen in Deutschland, weil sich das 1648 aufgrund der damaligen Situation so etabliert hat. Seitdem wurde das nicht mehr wirklich infrage gestellt. 

Was verändert sich eigentlich, wenn ich den/die Chef*in "Duze"?

Was würde eigentlich passieren, wenn Du morgen früh im Teammeeting alle dazu einladen würdest, Dich zu duzen? Oder wenn Du dazu eingeladen wirst? 

Was würde sich wirklich verändern? Hättest Du auf einmal weniger Respekt, oder würdest Du anders arbeiten? Wär das erst mal ungewohnt, oder würde sich die Stimmung verbessern?

Entsteht durch das Du eine falsche Nähe?

Wie schon oben beschrieben haben wir in Deutschland meist noch den kulturellen Mindset, dass Berufs- und Privatleben voneinander getrennt sein sollten. 

Das „Du“ heißt jedoch nicht, dass ich privat werden muss. Mit dem „Du“ kann es persönlicher werden. Es heißt aber noch lange nicht, dass wir jetzt alles miteinander teilen müssen. So muss auch keine falsche Nähe entstehen. 

Fazit: Durch das „Du“ wird es persönlicher, nicht privat. Es entsteht keine falsche Nähe. 

Fazit

Ich liebe meinen Blog, denn er erlaubt mir, mich kreativ auszudrücken und gleichzeitig mit meinen Klientinnen in Kontakt zu bleiben. Wenn ich schreibe, dann stelle ich mir oft vor, dass ich mit einer alten Bekannten bei einer schönen Tasse Kaffee und einem Stück Schoko-Torte zusammensitze. Denn mit den meisten meiner langjährigen Kund*innen fühlt es sich tatsächlich so an. 

Mein „Du“ auf diesem Blog wird dabei professionell, höflich und respektvoll sein.

Wer schreibt hier eigentlich?

Hallo, ich bin Iris! Ich bin Interkulturelle Diplom-Psychologin, interaktive Workshop-Facilitatorin, Forscherinnen-Seele, Bloggerin & Speakerin aus Köln. Ich bin Expertin für Inclusive Leadership, Intercultural Teambuilding und liebe Schokolade.

15 Gedanken zu „Meine aktuelle „Sie-du-ation“: oder ist Siezen überhaupt noch zeitgemäß?“

  1. Hi Iris, I can’t agree more with what you shared here.
    As someone from a mixed culture who recently moved to Germany, I can wholeheartedly echo your sentiments. Contrary to my initial expectations, I have discovered that people in Germany are, in fact, quite friendly and welcoming.

    Before moving here, I had heard various comments and feedback from individuals who might not have fully understood the nuances of German culture, leading me to believe that politeness might be an issue. However, upon immersing myself in the local community and interacting with the people, I found that the Germans appreciate politeness and courtesy just as much as any other culture.

    There’s a deep respect for personal boundaries, and people value direct communication. It’s true that cultural differences exist, but understanding and embracing them enriches our experiences and helps us build meaningful connections with others.

    Living in Germany has opened my eyes to the warmth and friendliness of its people, and I’m grateful for the opportunity to be a part of this vibrant and diverse society. It has been a journey of personal growth and learning, breaking down preconceived notions, and forming genuine connections with people from various backgrounds.

    Antworten
  2. Merci 💚 für den coolen Artikel und vor allem die Herleitung von wo „Siezen“ kommt.

    Beim Leben ist mir ein Erlebnis gleich in den Kopf gekommen:
    Meinen ersten Job habe ich in einer Notariatskanzlei gehabt. Damals war ich eine einfache junge Praktikantin. Ich sollte die Kunden, die hereinkommen begrüßen und ihnen einen Kaffee anbieten. Eines Tages kam ein Mann durch die Türe, der vielleicht 1 maximal 2 Jahre älter war als ich, weil ich es nicht gewohnt war gleichaltrige zu siezen, habe ich ihn geduzt. Ich habe mich sofort bei ihm entschuldigt, seine Antwort war nur „Das Siezen ist ja eh so unfreundlich, merci fürs du“.

    Dieses Erlebnis bestätigt einige Punkte von dir nur zu gut. Höflichkeit hat nichts mit Siezen zu tun, sondern wie man auf eine andere Person zugeht und sie behandelt.

    Antworten
    • Sehr gerne, liebe Conny. Ich freue mich, wenn er Dir gefällt.Das hört sich ja nach einer sehr netten Begegnung an. Danke fürs Teilen. Ja, genau! Höflichkeit hat damit zu tun, wie man auf eine andere Person zugeht und sie behandelt. Sobald man (und Frau 😉 auch mit Herz dabei sind, ändert sich alles.

      Antworten
  3. Liebe Iris,

    vielen Dank für Deinen aufschlussreichen Blog-Beitrag.
    Ich habe mich in meinem Angestellten-Leben auch vorzugsweise gesiezt – und mir daher lange Gedanken gemacht, wie ich es mit meinem Blog und Newsletter halte.
    Da habe ich dann doch recht bald auf das „Du“ umgestellt.

    Und ich erinnere mich gerade, dass ich im letzten Jahrtausend das Buch „Dear Doosie“ gelesen habe, das genau Dein Thema locker-leicht thematisiert:https://www.amazon.de/%C2%BBDear-Doosie%C2%AB-Eine-Liebesgeschichte-Briefen/dp/3596224284/ref=sr_1_1?crid=2G5G10MKJ9R8B&keywords=dear+doosie+werner+lansburgh&qid=1690452748&sprefix=dear+doos%2Caps%2C98&sr=8-1

    Antworten
    • Liebe Gesa, herzlichen Dank für Deinen Kommentar und den Hinweis mit dem Buch 😂. Ich war noch nie wirklich Angestellte, das ist eine ganz andere Welt für mich. Spannend, wie klar Du Dich umentschieden hast. Liebe Grüße, Iris

      Antworten
  4. Hallo Iris,

    ich bin absolute Fanin vom Du, treibe das sogar noch eine Ecke weiter und nutze ausschließlich die Kleinschreibung, also „du“ und „ihr“… natürlich liegt das auch an meinen Themen: in meinen Schreibgruppen sind wir vertraut miteinander, denn wir teilen unsere Texte, als Freie Rednerin stehe ich dem Brautpaar, den Eltern und der gesamten Gesellschaft ohnehin recht vertraut gegenüber.

    Doch ich erlebe natürlich im „normalen“ Alltag das Siezen, vor allem, wenn Jüngere das tun und mich Jahrgang 1966 dadurch gefühlt eine Generation älter machen, als ich mich fühle.

    Danke für deinen wertvollen Artikel, ich habe mir noch nie so strukturierte Gedanken darüber gemacht, aber ich unterschreibe dein Fazit zu 100%.
    Viele Grüße
    Gabi

    Antworten
    • Hallo, liebe Gabi,

      das mit dem großgeschriebenen „Du“ ist eine Marotte von mir. Das kenne ich noch von früher, aus den Briefen, wenn man besonders höflich, oder besser respektvoll schreiben wollte. Ich weiß, dass die neueste Rechtschreibreform das abgeschafft hat. War mir aber egal 😂 💫! Vielleicht ist das auch meine österreichische Seite. Und … wie man auch hier wieder sehen kann: Höflichkeit und Respekt kann auf so viele unterschiedliche Arten ausgedrückt werden.

      Kann mir gut vorstellen, dass es bei Dir in Deinen Schreibgruppen etwas anderes ist und bei Hochzeiten wäre es vermutlich fast seltsam …

      Danke für Deinen Kommentar!

      Herzlicher Gruß,
      Iris

      Antworten
  5. Muss man wirklich alles in Frage stellen und jedem Trend hinterher laufen, als würde man beim „Nur angucken, nicht anfassen“ des Trends irgend etwas verlieren? Vielleicht ist der Mensch dann nicht mehr auf der Höhe des (Zeit)Trendgeistes, aber in jedem Fall ein Individuum.

    Ich bin kein Englischsprachiger, sondern „Deutschsprachiger“ – viele Mitläufer haben aber tiefgreifende Angst vor der eigenen deutschen Identität und vielhundertjähriger Kultur und nehmen jeden Trend dankbar an, um von der Welt „da draußen“ geliebt zu werden.

    Den Trend zu der respektlosen Duzerei fremder Menschen kann ich übrigens bei Italienern und Franzosen nicht erkennen.

    Antworten
    • Liebe*r K. Jambo,

      vielen Dank für Ihren Kommentar. Nein, Sie müssen keinem Trend hinterherlaufen.
      Ich wünsche jedem Menschen, dass er/sie die individuelle Freiheit spürt, sich hier genauso zu positionieren, wie sie es für richtig halten. Ich mache das mit diesem Artikel.

      Über das Thema „Respekt und Höflichkeit im Kulturvergleich“ habe ich 2008 promoviert – damals ein absolutes Rand-Thema. Seit 2004 arbeite ich als Interkulturelle und Diversity Kompetenz Trainerin – auch das, damals alles andere als ein Trend.

      Bi-kuturell aufgewachsen habe ich schon früh gelernt, dass kultureller Mindset relativ und nicht absolut ist. Es gibt also nicht „das ist höflich“, oder „respektlos“, sondern immer nur „ich empfinde das als höflich“, oder „respektlos“. Es ist etwas sehr Individuelles und Kulturelles.

      Mit den besten Grüßen aus Köln,
      Iris Wangermann

      Antworten

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