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Die ambitionierte Raumfahrt-Wissenschaftlerin Pauline biegt mit ihrem alten, schwarzen Hollandrad in die Universitätsstraße. Es ist ein eiskalter Januarmorgen und sie hat ihren knallroten Schal bis tief unter ihre Nase gezogen. Ihre Hände zittern ein wenig, als sie das Fahrrad mit dem dicken Schloss an der alten Laterne vor dem Institut mit der Nr. 45 festmacht. Sie blickt kurz in den Himmel, zieht die eiskalte Luft durch ihre Nase und fragt sich, ob es heute wohl noch schneit.
Dann geht sie entschlossen durch die dicke Glastür zum Aufzug und fährt in die siebte Etage. Herbert steht schon vor ihrer Büro-Türe und wartet auf sie. Er grinst sie schief an. Sie erinnert sich noch, als wäre es gestern gewesen: der Tag, an dem sie ihn eingestellt hatte. Damals stand er auch mit diesem leicht schiefen Grinsen vor ihr. „Guten Morgen, Herbert. Warte bitte noch einen Moment. Ich rufe Dich gleich rein.“
Sie schließt die Büro-Türe hinter sich, schließt kurz die Augen und atmet tief durch. Wie in einem Film laufen die Szenen von vor ein paar Jahren, vor ihrem inneren Auge ab: Das Tuscheln und Lachen hinter ihrem Rücken, der Kollege, der sich mir ihren Ergebnissen brüstet, der Chef den das nicht interessierte. Ihre Wut und Verzweiflung. Damals hatte sie sich geschworen, es anders zu machen, sollte sie jemals ein Team leiten.
Schnell hängt sie ihre Jacke und den roten Schal an den kleinen Haken hinter den großen, weißen Schrank. Dann geht sie entschlossen zur Türe und bittet Herbert ins Zimmer. „Setz Dich bitte, Herbert.“ Sie deutet an den kleinen Besprechungstisch. „Ich habe es Dir ja schon gesagt. Ich will mit Dir über Dein Verhalten im Team sprechen. Mir sind ein paar Dinge aufgefallen, die für mich so nicht gehen. Es geht um Susanne und Valeria.“ Herbert verdreht die Augen.
Doch Pauline lässt sich nicht beirren und spricht mit sehr klarer Stimme über ihre Beobachtungen: Dass Herbert Susanne immer wieder ignoriert und nicht grüßt, wenn sie in den Raum kommt. Wie er ihre Fragen nicht beantwortet, Witze über sie macht und ihre Körpersprache nachahmt. Wie er bei der letzten Präsentation von Susanne ständig mit seinem Nachbarn geflüstert hat. Dass er zu Valeria, der Russin gesagt hat, dass sie bei der Weihnachtsfeier nicht so viel Wodka trinken soll und immer wieder ihren Akzent nachäfft.
Herbert runzelt die Stirn: „Das habe ich doch nicht böse gemeint. Ist doch nicht so schlimm. Die sollen sich nicht so anstellen.“ Pauline richtet sich auf, blickt ihm entschlossen in die Augen uns sagt: „Nein, das geht so nicht, Herbert. In meinem Team erlaube ich keine Mikro-Aggressionen.“
Als Herbert die Türe ihres Büros hinter sich schließt, fällt Pauline ein Stein von Herzen. Ein breites Grinsen läuft über Ihr Gesicht, während sie sich zufrieden zurücklehnt und aus dem Fenster blickt. Stolz durchströmt sie bis in die leicht ergrauten Haarspitzen. Draußen hat angefangen zu schneien. Noch nie hat sie sich so bei sich gefühlt.
Definition von Mikro-Aggressionen
„Mikro-Aggressionen sind unterschwellige, negative Botschaften, die wir anderen Menschen signalisieren. Sie werden ausgedrückt durch Gestik, Mimik, Kommunikation und signalisieren eine geringe Wertschätzung.“ Mikro-Aggressionen werden auch Mikro-Ungerechtigkeiten genannt.
Charakteristika von Mikro-Ungerechtigkeiten
Mikro-Ungerechtigkeiten sind immer mit Merkmalen einer Person verbunden, die diese nicht verändern oder verstecken kann. Sie haben nichts mit dem Potenzial, der Leistung oder dem eigentlichen Verhalten der Person zu tun.
Oftmals passieren Mikro-Ungerechtigkeiten unbewusst und unbeabsichtigt. Sie werden auch kaum disziplinarisch geahndet. Die Herausforderung ist es, darauf angemessen zu reagieren. In meinen „Inclusive Leadership Workshops“ lernen die Teilnehmenden Strategien und Good Practices, wie sie Mikro-Aggressionen in ihrem Team verhindern können. Sowohl als Teamleiter*in, Betroffene*r und nicht direkt betroffenes Teammitglied.
Die Gefahren von Mikro-Aggressionen
Mirko-Aggressionen sind gar nicht so „Mikro“, weil sie auf Dauer akkumulieren. Das führt dazu, dass wertvolle, kreative Energien auf Nebenbaustellen verschwendet werden. Das Selbstwertgefühl der Betroffenen sinkt, die Beteiligung nimmt ab und es sammelt sich immer mehr Ärger und Frust an. Die betroffene Person fühlt sich im Team nicht zugehörig.
Das führt oft zu innerer Kündigung und schlechter Leistung. Denn mal ganz im Ernst: Auch ich hätte keine Lust mich 100%ig einzubringen, wenn ich das Gefühl habe, dass ich nicht wertgeschätzt werde. Was Belonging/Zugehörigkeit bedeutet und warum es wichtig für erfolgreiche Zusammenarbeit ist, können Sie hier nachlesen.
11 Gedanken zu „Was sind Mikro-Aggressionen/Ungerechtigkeiten?“
Hallo Iris.
Danke für den erhellenden Beitrag. Mikro-Aggressionen war mir als Begriff nicht klar.
Gut, dass du für Klarheit sorgst.
LG Gaby.
Danke liebe Gaby,
freut mich, dass Dir mein Artikel Klarheit bringt.
Liebe Grüße,
Iris
Hallo Iris,
sehr spannend – der Begriff war für mich auch ganz neu. Wirklich, man lernt nie aus. Danke dafür.
Die Margit
Hallo Margit,
freut mich, dass Du ihn spannend findest.
Liebe Grüße, Iris
Liebe Iris,
ein wirklich wichtiger Beitrag! Diese Mikro-Aggressionen und Mikro-Ungerechtigkeiten führen so häufig zu Leid, das viele Betroffene oft nicht einmal benennen können, weil sie so selbstverständlich sind. Sie untergraben mittelfristig und unterschwellig das Selbstvertrauen und das Selbstbewusstsein.
Danke für diesen Artikel!
Liebe Grüße
Pia
Danke, liebe Pia für Deine Gedanken. Ja, genau dieses nicht benennen können ist das was schadet. Deshalb ist Bewusstseins-Arbeit hier so wichtig.
Liebe Grüße, Iris
Ich schätze deine Sensibilität und dein Engagement für diese Thematik, denn es trägt dazu bei, ein Bewusstsein zu schaffen und zu einer respektvolleren Gesellschaft beizutragen. Danke, dass du dieses wichtige Thema ansprichst und uns alle dazu ermutigst, achtsamer und einfühlsamer miteinander umzugehen.
Liebe Grüße,
Anna
Danke, liebe Anna, ich freue mich, dass der Artikel Resonanz bei Dir auslöst. Ich bin überzeugt, eine achtsame Gesellschaft ist möglich. Ich erlebe es jeden Tag. Liebe Grüße, Iris