Einleitung
In diesem Blog-Artikel schreibe ich eine Rezension über das Buch „Kriegsenkel – Die vergessene Generation„, von Sabine Bode. Ein Buch, indem sich die Kinder der Kriegskinder zu Wort melden.
Bis heute zeigen sich in den meisten Familien Spuren der Kriegsvergangenheit. Diese reichen bis in die zweite und dritte Generation.
Das Buch soll den Kriegsenkeln helfen, ihre Eltern und sich besser zu verstehen. Es besteht aus Kriegsenkel- und am Schluss auch wenigen Kriegskinder-Interviews.
„Die im vorliegenden Buch wiedergegebenen Klagen sind keine Schuldzuweisungen.“
Die Geschichten decken auf, wie ähnlich die Kindheit unserer Generation gewesen ist. Alleine das kann meiner Erfahrung nach schon enorm heilsam sein.
Stell Dich nicht so an, wir hatten es doch viel schwerer als Du!
Die Eltern von Kriegsenkel Monika sind Flüchtlingskinder aus Ostpreußen. Über die Flucht wurde nur in Andeutungen gesprochen. Zu viel Schreckliches war wohl geschehen. Da greift die Psyche zu einem schlauen – aber langfristig nicht sehr gesunden Mechanismus – und fängt an alles zu verdrängen, was nicht verarbeitet werden kann.
Monikas Mutter hatte die Haltung, dass es ihren Kindern nie so schlecht gehen konnte, wie ihr.
„Du weißt gar nicht, wie gut Du es hast. Du weißt gar nicht, wie schlimm das damals alles war – auch die Ankunft in Westdeutschland, wo uns keiner haben wollte.“
So brach sich Monika mal einen Arm und klagte über starke Schmerzen. Aber die Mutter sagte ihr, dass es doch nicht so schlimm sein kann. Erst als abends der Vater nach Hause kam, und sie ins Krankenhaus gingen, wurde klar, was passiert ist: Der Arm war gebrochen.
Diese Geschichte finde ich bedeutungsvoll für das Verständnis, wie Kriegstraumata, von den Eltern an die Kinder – auf der seelischen Ebene – weiter gegeben werden. Denn es stimmt natürlich: Was den Eltern als Kindern während des Krieges passierte, war so schlimm, dass es wohl mit kaum einem Schmerz aus einem Nicht-Kriegs-Alltag verglichen werden kann.
Aber den Krieg als Maßstab für den Alltag der Kriegsenkel*inne-Generation zu nehmen, geht natürlich auch nicht.
Die Mutter zeigt hier eine gefühlsmäßige Kälte der Tochter gegenüber, die völlig unangebracht ist. Ihre Unfähigkeit sich in die Tochter einzufühlen – auch das eine bekannte Kriegsfolge – hinterlässt große Verzweiflung und Frust bei der Tochter.
Denn, wenn ich als Kind in meinem Schmerz nicht gesehen und gefühlt werde, mein Schmerz mir nicht zurückgespiegelt und ernst genommen wird. Wenn da niemand ist, der sich in mich einfühlt, sich niemand darum kümmert, dass es mir besser geht. Dann übernehme ich – unbewusst – diese Haltung und nehme meine Gefühle und Schmerzen als Erwachsene dann selbst nicht mehr wahr und ernst.
Langfristig kann das dazu führen, dass diese Frauen sich als Erwachsene dann ständig überfordern und irgendwann in den Burn-out schlittern.
Sie entwickeln keine innere Referenz für ein „Jetzt ist es aber genug! Nimm Deine Gefühle ernst. Du hast Schmerzen. Es reicht. Mach mal eine Pause. Und bei Armbrüchen: Wir gehen jetzt sofort ins Krankenhaus. Kümmere Dich um Dich“. Stattdessen denken Sie: „Stell Dich doch nicht so an!“
Weil sie keine Fürsorge als Kinder erlebt haben, haben Sie als Erwachsene dann Probleme mit der Selbstfürsorge.
Diese Mechanismen sind uns nicht bewusst, sondern laufen automatisch ab. Denn sie haben sich als Muster tief in unser Unterbewusstsein gegraben. Und das macht es auch dann so schwer, diese Mechanismen zu verändern. Da greift keine übliche Mindset-Arbeit. Gespräche helfen hier nicht weiter. Du musst Zugang zu Deinem Unterbewusstsein finden und das Thema dort transformieren.
Zahlreiche wissenschaftliche Studien (vgl. z.B. Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahnemann, in seinem Buch „Schnelles und langsames Denken„) konnten zeigen, dass unser Verhalten bis zu über 95 % aus unserem Unterbewusstsein gesteuert wird. Wir sind also gar nicht so rational denkende und handelnde Wesen, wie wir immer meinen.
Wenn Du Deine tief sitzenden Ahnen-Muster nicht im Unterbewusstsein auflöst und transformierst, dann wirst Du Dich immer weiter überfordern und über Deine Grenzen gehen. Ganz egal, wie viele Bücher Du über das Thema Selbstfürsorge schon gelesen hast.
Der lange Weg zur Eigenen Identität
In diesem Kapitel wird die selbstbewusste Monika beschreiben. Eine Kriegsenkelin und ein Frauen-Typ, der in hoher Zahl zu mir in die Begleitung kommt. Im Leben viel erreicht, hat sie schon sehr früh und scheinbar selbstbewusst ihre Frau gestanden. Dabei ist sie immer schon ungewöhnliche Wege gegangen.
Doch wie die meisten dieser Frauen trägt auch sie einen großen Schmerz mit sich herum: „Ich dachte immer: Ich bin verkehrt“.
Ich finde diesen Teil des Buches enorm spannend, weil diese Geschichte für zahlreiche Frauen unsere Generation Kriegsenkel steht. Größtenteils handelt es sich hier um die schwarzen Schafe der Familie, die sich auf den Weg machen, den Familienknoten zu lösen, die mit diesen Herausforderungen zu kämpfen haben.
Dafür müssen sie ganz schön was aushalten: Sie werden verachtet, oftmals sogar verleumdet. Denn ihr bloßes Da- und anders sein, macht dem Rest der Familie – unbewusst – große Angst. Die Familie spiegelt zurück, dass da etwas fundamental nicht mit ihnen stimmt.
Langfristig gewinnen die schwarzen Schafe der Familie aber immer dann, wenn sie es schaffen, den Ahnenknoten wirklich für sich zu lösen. Auf diesem Weg haben sie die Möglichkeit, sich immer besser kennen und lieben zu lernen. Dazu braucht es Unterstützung, die sie sich oftmals leider erst sehr spät gönnen. Denn sie habe ja auch bisher so vieles immer alleine geschafft (was natürlich eine große Illusion ist, denn eigentlich schaffen wir nichts alleine).
Wenn Sie sich schlau anstellen und sich nicht beirren lassen und sich einlassen auf tiefe innere Arbeit, dann haben sie allerdings die besten Chancen für ein Seelen-erfülltes Leben. Wie die Phönix steigen sie dann eines Tages aus der Asche ihrer Geschichte. Sie schauen dann eines Tages in den Spiegel und erkennen sich selbst als das wunderbare und tief Seelen-erfüllte Wesen, dass sie schon immer gewesen sind.
Sie fühlen dann auch keinen Gram mehr den Eltern und der eigenen Geschichte gegenüber, denn Sie wissen …
„Eltern, die sich von schweren seelischen Verletzungen nicht erholt haben, sind in aller Regel nicht in der Lage, auf ihren Säuglingen und Kindern emotional offen gegenüber zu reagieren.“
Sie sind dann nicht mehr das Opfer ihrer Familiengeschichte, sondern Gestalterinnen ihres seelen-erfüllten Lebens.
Woher kommt der Nebel?
Als Sandra im Studium einen Aufsatz über ihre Kindheit schreiben sollte, wollte ihr einfach nichts einfallen. „In Ihrem Kopf war nur Nebel“ (S. 205).
„Sie fragte dann den Vater und er sagte zu ihr: Schreib doch einfach, was für eine glückliche Kindheit Du in diesem schönen Vorort erlebt hast. Alles, war sicher und gut (S. 205).“
Das brachte Sandra ins Nachdenken. Klar hatte sie eine schöne Kindheit in einer lieben Familie gehabt. Aber sie hatte sich als Kind nie sicher gefühlt. Dazu kamen häufig Ängste beim Einschlafen und das Gefühl, dass etwas ganz Schreckliches passieren wird.
Als sie dann einmal voller Panik ins Bett der Mutter schlich, lies diese sie zwar neben ihr liegen, aber die Mutter „war kein Typ“, der die Kinder in den Arm nahm. Schon bald schickte sie die Tochter wieder zurück ins eigene Bett. Wo sie mit ihren Ängsten wieder alleine war.
Sandra ist eine selbstbewusste Frau, die aber keine Kinder bekam, weil sie fürchtete keine gute Mutter zu sein.
Im weiteren Gespräch mit Sabine Bode kommt heraus, dass die Kindheit eigentlich gar nicht so glücklich war und dass sie bisher kein Vertrauen ins Leben entwickeln konnte. Es ist ihr auch peinlich, dass sie sich – als über 40-jährige – immer noch mit den Themen ihrer Kindheit rumschlagen muss.
Schon alleine, weil sie ein paar leichtere Zwangshandlungen hat, die sie bereits lange unter Kontrolle zu bringen versucht. Wie: 10 Mal zur Türe gehen, ob sie diese jetzt auch wirklich abgeschlossen hat.
Diese Zwangshandlungen kannte sie schon aus der Kindheit. Das Kuscheltier musste 21 Mal in einer bestimmten Weise hingelegt werden, sonst „passiert etwas ganz Schlimmes“. Und wenn sie „es falsch machte“, dann musste sie von vorn beginnen.
Warum das so ist, hat sie noch nicht herausgefunden. Jedenfalls lag da immer so ein komischer Nebel über ihrer Familiengeschichte. Denn: „eigentlich hatte sie doch eine schöne und behütete Kindheit“, oder?
„In den meisten Familien hatten keine Dramen stattgefunden. Stattdessen war die Rede von „Nebel“ und von „Unlebendigkeit“.
Auch in den zahlreichen Gesprächen mit meinen Klientinnen höre ich regelmäßig von diesem Nebel. Einer „grauen Soße“ über die aber nie gesprochen wird. Denn die Fassade einer scheinbar heiligen Familienwelt musste immer aufrechterhalten werden. „Was sollen denn die Nachbarn denken?“ war ein wichtiger Leitsatz.
Das erschwert natürlich das Aufarbeiten von Themen. Besonders in unserer Generation, die dazu die Möglichkeit hätte. Denn wenn ich denke, dass ich völlig alleine mit diesen Themen bin, dann fühle ich mich wie ein Alien. Es ist fast eine Tabuschranke, die da über uns zu liegen scheint.
Deshalb finde ich das Buch von Sabine Bode auch so wichtig. Denn sie bringt uns – mithilfe dieser Geschichten – einander näher.
Es ist möglich, den Nebel zu lichten und die innere Schwere in Leichtigkeit zu transformieren. Dabei unterstütze ich Dich gerne.
Perspektivenwechsel: die Sicht der Kriegskinder
Was mir außerdem hervorragend an Sabine Bodes` Buch „Kriegsenkel – Die Erben der vergessenen Generation“ gefällt, ist, dass sie am Schluss einen Perspektivenwechsel vornimmt und über die Kriegskinder-Generation schreibt.
Also über die Generation unserer Eltern.
So hatte es eigentlich auch angefangen. Sie hatte zunächst diese Generation interviewt und dann erst die Kriegsenkel.
Im letzten Kapitel kommen Gabriele Heinen – eine Pfarrerin – zu Wort, die 1942 geboren wurde
Auch wurde ihr von der Familie vorgeworfen, sie sei oft unbegreiflich kühl und distanziert. „Aber ich fand den Vorwurf ungerecht“, sagte sie.
Die meisten meiner Klient*innen haben den ganz tiefen Wunsch, einmal in ihrer tief empfundenen Not von den Eltern gehört und in ihrem empfundenen Schmerz anerkannt zu werden.
Doch in der Regel passiert das nicht.
Nicht, weil die Eltern bösartig sind, sondern weil sie – im Vergleich zu den Kindern – unsäglich schlimme Dinge während des Zweiten Weltkriegs erlebt haben. Diese Kriegstraumatisierungen wurden kollektiv nicht aufgearbeitet. Die Elterngeneration war damit beschäftigt, das Land wieder aufzubauen.
Gabrieles Geschichte macht Mut. Denn sie kommt tatsächlich in einen Reflexionsprozess, traut sich hinzuschauen. Das ist ein unglaublich tiefer Wunsch der meisten Kriegsenkel.
„Erst nach und nach habe sie begriffen, dass ihr unverarbeitetes Trauma, vor allem durch ihr „Nicht anwesend Sein“ auch bei ihrem Sohn Bastian Spuren hinterlassen hatte (…). Und ich habe ihm bestätigt: Ja, so war es. Es tut mir leid. Aber es war so.“
Damit Frieden in mir und zwischen den Generationen entstehen kann, ist es wichtig, dass ich erkenne, in welcher Situation die Kriegs-traumatisierten Eltern sich befinden.
Statt darauf zu hoffen, dass sie – die anderen – sich ändern, muss ich in mir einen Punkt des inneren Friedens mit meiner Geschichte und mir finden. Auch, damit ich sie nicht an die nachkommenden Generationen weiter gebe.
Das ist möglich, indem ich mir über meine eigenen, geerbten Traumata zunächst bewusst werde und sie dann transformiere. Nur so kann ich erkennen, welche unglaubliche Kraft ich durch meine Geschichte entwickelt habe. Wie sich – genau dadurch Seelen-Gaben gebildet haben, die nur ich habe und die von niemandem kopiert werden können. Wie sich dadurch Deine Einzigartigkeit zeigt. Dabei begleite ich Dich gerne.
PS: Ich habe hier noch eine Liste mit weiteren Büchern zum Thema für Dich zusammengestellt. Du kennst ein Buch, das unbedingt auf die Liste sollte, oder eine Rezension wert ist? Dann schreib mir das unbedingt in die Kommentare.